Der 48-jährige Herr M. wohnt nebenan und stellt sich erstmalig in Ihrer Praxis vor. Er berichtet über ein seit circa einer Stunde bestehendes, plötzlich aufgetretenes Herzrasen. Hierunter sei ihm schwindelig und er sei zweimal aus der Ruhe heraus bewusstlos geworden.
Seit seiner Jugend habe er gelegentlich “Herzattacken” gehabt, die aber meistens nach wenigen Minuten vorbei und nie so schlimm gewesen seien. Strukturelle Herzerkrankungen sind keine bekannt. An kardiovaskulären Risikofaktoren besteht ein arterieller Hypertonus, der nicht medikamentös behandelt ist. Sie lassen sofort ein EKG schreiben (siehe Abbildung unten).
EKG-Analyse
Dieses EKG zeigt einen sehr seltenen Befund. Wir sehen eine Tachykardie mit unregelmäßigen Abständen der QRS-Komplexe von wiederum variierender Dauer. Die meisten QRS-Komplexe sind breit und zeigen in fast allen Ableitungen einen trägen Anstieg der R- bzw. Q-Zacke.
Es handelt sich um einen Fall einer “Fast-Broad-Irregular”-Tachykardie (FBI). Diese Tachykardien entstehen auf dem Boden eines Vorhofflimmerns in Kombination mit einer akzessorischen Leitungsbahn und dadurch frühzeitiger ventrikulärer Erregung bei WPW-Syndrom (s. “Der Hausarzt” 14/22, Teil 3 der Serie). Der einzelne schmale QRS-Komplex entspricht einer Erregung der Ventrikel über das AV-Knoten-His-Purkinje-System.
Wie ging es weiter?
Sie alarmieren den Rettungsdienst, Herr M. wird stationär aufgenommen. Es erfolgt zunächst eine elektrische Kardioversion. Die im zeitnahen Verlauf durchgeführte elektrophysiologische Untersuchung ergibt eine schnelle, vom Atrium in den Ventrikel antegrad leitende Bahn.
Die anschließende Ablation hat die komplette Verödung und elektrische Blockade der akzessorischen Leitungsbahn zum Ziel. Rückblickend hatte unser Patient ein im bisherigen Leben unerkanntes WPW-Syndrom und nun ein erstdiagnostiziertes Vorhofflimmern, das über diese akzessorische Bahn übergeleitet wurde.
WPW und Vorhofflimmern
FBI ist eine seltene Komplikation des WPW-Syndroms und stellt eine potenziell lebensbedrohliche Situation dar. Die Inzidenz des plötzlichen Herztods und hämodynamisch relevanter Rhythmusereignisse liegt bei Patienten mit WPW-Syndrom je nach Studie zwischen 0,25 Prozent jährlich bis 4 Prozent für die gesamte Lebenszeit [1, 2].
Die Kombination aus einer schnell leitenden akzessorischen Leitungsbahn und Vorhofflimmern stellt die pathophysiologische Grundlage dar. Je nach Leitungsgeschwindigkeit der akzessorischen Bahn hat ein Vorhofflimmern sehr schnelle, unregelmäßige ventrikuläre Erregungen zur Folge, die in Kammerflimmern degenerieren können.
Im Akutfall ist die Therapie der Wahl das Klasse-1-Antiarrhythmikum Ajmalin in gewichtsadaptierter Dosierung. Bei hämodynamischer Instabilität sollte, wie bei allen anderen Breitkomplex-Tachykardien, frühzeitig elektrisch kardiovertiert werden.
Gleichzeitig müssen die Risiken einer durch die Kardioversion verursachten Thrombembolie bei länger bestehendem Vorhofflimmern abgewogen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Vorhofflimmern bei medizinischem Erstkontakt erst kurzzeitig besteht, ist bei FBI jedoch relativ hoch, da dieser Zustand in der Regel direkt bei Beginn des Vorhofflimmerns starke Symptome hervorruft.
Was hilft langfristig?
Eine definitive Therapie stellt die minimal-invasive Radiofrequenz-Ablation der akzessorischen Leitungsbahn dar. Bei primär erfolgreicher Ablation liegt die Chance auf eine dauerhafte Heilung deutlich über 90 Prozent [3]. Auf diese Weise kann ein plötzlicher Herztod in der Regel verhindert werden. Eine spezifische medikamentöse Therapie der Tachykardie ist nach erfolgreicher Ablation nicht notwendig.
Zur Thrombembolie-Prophylaxe ist bei erhöhtem CHA2DS2-VASc-Score nach aktuellen Leitlinien zur Therapie des Vorhofflimmerns eine orale Antikoagulation indiziert. Tatsächlich wird angenommen, dass allein die retrograde Leitung via akzessorische Bahn bei WPW-Patienten für das Auftreten von Vorhofflimmern verantwortlich sein kann.
Bezüglich der Rezidivrate von Vorhofflimmern und des Schlaganfallrisikos nach erfolgreicher Ablation der Bahn ist die Datenlage allerdings unzureichend, sodass keine klare Empfehlung bezüglich einer oralen Antikoagulation gegeben werden kann.
Das Komplikationsrisiko der Ablation akzessorischer Leitungsbahnen ist insgesamt niedrig. Problematisch sind AV-Knoten- oder His-Bündel-nahe Bahnen (circa 4 bis 5 Prozent der Fälle), da eine Ablation in diesem Bereich ein Risiko für die Verletzung des intrinsischen AV-Überleitungssystems darstellt.
Während der Prozedur fällt oft frühzeitig eine Verlängerung der PQ-Zeit auf, als Ausdruck einer Beeinflussung der Leitungsfähigkeit der schnellen Bahn im AV-Knoten. Eine Schrittmacher-Implantation kann aufgrund der fibrotischen Umbauprozesse auch noch Monate später notwendig werden.
Sollte eine intraprozedurale Verlängerung der PQ-Zeit dokumentiert werden, ist daher eine regelmäßige Kontrolle mittels Langzeit-EKG indiziert. Bei Synkopen sollte eine Rhythmusdiagnostik mittels Ereignisrekorder erwogen werden, da in diesem Fall sowohl ein AV-Block als auch ein Rezidiv der Tachykardie als Differenzialdiagnosen in Frage kommen.
Interessenkonflikte: Die Autoren sind Gründer und Geschäftsführer der Doctopia GmbH.
Literatur:
- Munger TM et al. A population study of the natural history of Wolff-Parkinson-White syndrome in Olmsted County, Minnesota, 1953-1989, Circulation. 1993 Mar;87(3):866–73.
- Pappone C et al. Risk of malignant arrhythmias in initially symptomatic patients with Wolff-Parkinson-White syndrome: results of a prospective long-term electrophysiological follow-up study. Circulation. 2012 Feb 7;125(5):661–8.
- Brado J et al. Outcomes of ablation in Wolff-Parkinson-White-syndrome: Data from the German Ablation Registry. Int J Cardiol. 2021 Jan 15;323:106–112.