Was wurde konkret beschlossen?
Ende Januar hat der Bundestag mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP mit dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) ein Maßnahmenpaket zur Stärkung der hausärztlichen Versorgung beschlossen. Darin enthalten ist neben kleineren, für Praxen jedoch bedeutenden Bausteinen:
- eine (Halb-)Jahrespauschale zur Versorgung sogenannter Mono-Chroniker, also jenen geschätzt 1,5 Millionen Menschen mit genau einer chronischen Erkrankung und nur einer benötigten Medikation, bei denen kein intensiver Betreuungsbedarf besteht,
- eine Vorhaltepauschale zur Förderung von Praxen, die klassische hausärztliche Versorgung gewährleisten, sowie
- die Entbudgetierung, für die der Hausärztinnen- und Hausärzteverband zuvor über Jahre gekämpft hatte.
“Entbudgetierung” – was bedeutet das in der Praxis?
Vereinfacht gesagt gibt es bislang Honorar-Obergrenzen, also einen bestimmten Betrag, den die gesetzlichen Krankenkassen für die ambulante Versorgung ihrer Versicherten je Quartal zur Verfügung stellen. War dieses Budget aufgebraucht, wurden weitere Behandlungen oft nicht mehr vollständig von den Krankenkassen erstattet – auch wenn die Patientinnen und Patienten in den Hausarztpraxen natürlich versorgt wurden.
Künftig werden die Krankenkassen verpflichtet, alle Leistungen der allgemeinen hausärztlichen Versorgung einschließlich Hausbesuchen – konkret EBM-Kapitel 3 und 1.4 – entsprechend der Bewertung im EBM vollständig zu den jeweils regionalen Preisen zu vergüten. Diese beiden EBM-Kapitel machen über 90 Prozent aller hausärztlichen Leistungen aus.
Was passiert mit den anderen hausärztlichen Leistungen?
Tatsächlich sind sonstige hausärztliche Leistungen – zum Beispiel Psychosomatik, Sonografie, Schmerztherapie oder auch telefonische Beratungen – nicht in der Entbudgetierung enthalten, obwohl der Hausärztinnen- und Hausärzteverband hierfür wiederholt eingetreten war.
Eine Befürchtung in der Debatte war, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) diese sonstigen Leistungen künftig quotieren, um daraus teilweise die Entbudgetierung zu finanzieren. Das kann zwar nicht ausgeschlossen werden, ist aber völlig offen. In jedem Fall fallen die Effekte der Entbudgetierung deutlich stärker ins Gewicht als eine solche mögliche Abstaffelung der sonstigen Leistungen, die naturgemäß nur einen vergleichsweise kleinen Teil des Spektrums einer Praxis ausmachen.
Blick in die Praxis: Denkbar ist beispielsweise, dass eine Praxis in einer Region, in der die Auszahlungsquote bislang bei 75 Prozent gelegen hat, auch psychosomatische sowie schmerztherapeutische Leistungen abrechnet (zusammen 6 Prozent der gesamt abgerechneten Leistungen). In der Summe bedeutet die Entbudgetierung ein bedeutendes Plus für die Praxis: Die Auszahlungsquote des überwiegenden Teils ihrer Leistungen (94 Prozent) steigt nämlich von 75 auf 100 Prozent.
Um wie viel Geld geht es bei der Entbudgetierung?
Aktuelle Berechnungen gehen davon aus, dass durch die Regelung zusätzlich zwischen 300 und 500 Millionen Euro pro Jahr in die hausärztliche Versorgung fließen. Wichtig:Gerüchte, wonach kein frisches Geld für die Finanzierung der Entbudgetierung zur Verfügung steht, sind falsch.
Könnte den Gebietsfachärzten dadurch Geld entzogen werden?
Nein! Durch die Entbudgetierung droht entgegen zahlreichen Behauptungen keine Umverteilung zwischen haus- und fachärztlichem Bereich. Die Trennungsbeschlüsse gelten fort und bleiben unangetastet. Für die Entbudgetierung müssen die Kassen zusätzliches Geld zur Verfügung stellen, im Gegensatz zu den vorgesehenen EBM-Pauschalen, die im GVSG als kostenneutral vorgesehen sind.
Welche Rolle spielt der Standort meiner Praxis?
Von der Entbudgetierung werden nicht nur Ballungszentren profitieren, sondern auch Flächenländer wie Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt. Eine der am stärksten betroffenen Regionen war zuletzt Hamburg: Hier hat die Auszahlungsquote bei nur 68 Prozent gelegen.
Doch auch in Regionen, die nicht mittelbar betroffen sind, wirkt die Gesetzesänderung positiv. Zum einen garantiert sie eine 100-prozentige Auszahlungsquote auch für die Zukunft, zum anderen sendet sie ein klares Signal an junge Ärztinnen und Ärzte, dass die hausärztliche Versorgung von der Politik unterstützt wird.
Und: Mehrere KV-Regionen haben sich zuletzt bereits an der Grenze bewegt und wären vielleicht in absehbarer Zeit budgetiert worden.
Kann meiner Praxis durch die Änderung Geld verloren gehen?
Diese Sorge könnte Hausärztinnen und Hausärzte in Regionen umtreiben, in denen heute mehr morbiditätsbedingte Gesamtvergütung (MGV) von den Kassen an die KVen gezahlt als hausärztlicher Leistungsbedarf abgerechnet wird. Ihnen geht durch die Entbudgetierung kein Geld verloren.
Denn die Regelung der sogenannten MGV+, für die der Hausärztinnen- und Hausärzteverband eingetreten war, stellt sicher, dass die zusätzlichen Mittel in diesen Regionen weiter ausgeschüttet werden können.
Wird auch die 03230 EBM künftig voll ausgezahlt?
Nein, denn die Begrenzung der 03230 EBM (“problemorientiertes ärztliches Gespräch”) ergibt sich aus den Regelungen innerhalb des EBM, nicht aus der bis dato vorhandenen Budgetierung. Sie kann auch weiter nur maximal bei der Hälfte der behandelten Patientinnen und Patienten abgerechnet werden. Dieses Problem kann nur die Selbstverwaltung lösen, nicht der Gesetzgeber.
Wann kommt die Entbudgetierung in der Praxis an?
Je nachdem, wann das GVSG verkündet wird, wird die Entbudgetierung entweder im vierten Quartal 2025 oder im ersten Quartal 2026 für Praxen wirksam. Aktuell wird damit gerechnet, dass das GVSG im April in Kraft treten wird. In diesem Fall würde die Entbudgetierung Anfang 2026 starten.
Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband hat eine zeitnahe Umsetzung als “dringend geboten” angemahnt. Laut Bundesvorsitzendem Dr. Markus Beier wird es darum gehen, “dass die Selbstverwaltung ihren Job macht und dafür sorgt, dass die beschlossenen Maßnahmen schnell und unbürokratisch in den Praxen ankommen”.