Jährlich grüßt das Murmeltier: Kurz vor dem Start der Honorarverhandlungen zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband, die für 2026 aktuell noch laufen, hatte die Techniker Krankenkasse (TK) eine Nullrunde für die Ärztinnen und Ärzte gefordert. Kontinuierlich mahnen die Kassen Sparmaßnahmen an und warnen vor weiteren Beitragserhöhungen oder Leistungskürzungen. Aber um wie viel Geld geht es eigentlich?
Größter Kostenblock: Kliniken
Stolze rund 500 Milliarden Euro oder 6.000 Euro je Einwohnerin bzw. Einwohner gab Deutschland im Jahr 2023 für die Gesundheit aus. Während 2024 die Gesamteinnahmen in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) 320,8 Milliarden Euro betrugen (im Vergleich zum Vorjahr plus 8,2 Prozent), wurden 312,3 Milliarden Euro für Leistungen ausgegeben. Nach Abzug der Verwaltungs- und sonstigen Ausgaben (12,6 und 2,5 Milliarden Euro) ergibt sich in der GKV ein Defizit für 2024 von 6,6 Milliarden Euro.
2023 betrug das Defizit “nur” 1,9 Milliarden Euro. Händeringend sucht Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) nach Finanzmitteln, um die wachsenden Finanzlöcher in Krankenhäusern und der Pflege zu stopfen.
Für die Krankenhausbehandlung wurden 2024 102,2 Milliarden Euro ausgegeben (plus 8,8 Prozent im Vergleich zu 2023). Damit stellen die Ausgaben im Krankenhaus den größten Block dar. Hohe Kostensteigerungen im Vergleich zu 2023 waren auch im Bereich Arzneimittel (plus 10 Prozent) zu verzeichnen. Mit 55,2 Milliarden belegen die Arzneimittel den zweiten Rang bei den Leistungsausgaben. Interessant: Die Anzahl der Verordnungen ist im Zeitverlauf von 1993 bis 2023 in etwa konstant geblieben, der Wert je Verordnung ist jedoch exorbitant in die Höhe geschnellt: von 1993 16,00 Euro auf 2023 79,70 Euro je Verordnung.
Die 97-zu-3-Diskrepanz
Den dritten Platz der Leistungsausgaben nimmt die ärztliche Behandlung ein. Sie macht 50,3 Milliarden Euro aus – im Vergleich zu 2023 sind die Ausgaben hier lediglich um 6,7 Prozent gestiegen.
Die Tatsache, dass 97 Prozent der Behandlungsfälle im ambulanten Bereich erfolgen, verdeutlicht die Diskrepanz im System: Der stationäre Sektor verursacht mehr als doppelt so hohe Kosten im Vergleich zum ambulanten Sektor bei gleichzeitig minimalen Behandlungszahlen. Dennoch soll noch mehr Geld in den stationären Sektor gepumpt werden: Nina Warken sprach bei der ersten Lesung des Bundeshaushalts am 10. Juli von vier Milliarden Euro Soforthilfe aus dem Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität, dass den Kliniken als Soforthilfe zur Verfügung gestellt werden soll. Dies sei aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Dabei gilt grundsätzlich: In der ambulanten Versorgung kostet die Behandlung eines GKV-Patienten pro Jahr durchschnittlich 716 Euro, in der stationären Versorgung hingegen sind es im Schnitt 9.465 Euro pro Patient, so die KBV. Drei Prozent aller Behandlungsfälle (rund 18 Millionen pro Jahr) seien durch die Kliniken versorgt worden – mit 33 Prozent der GKV-Leistungsausgaben. 97 Prozent aller Fälle seien hingegen in Arzt- und Psychotherapiepraxen behandelt worden – mit 16 Prozent der GKV-Leistungsausgaben. Bei 578 Millionen Behandlungsfällen in Deutschlands Praxen kam es zu ein Milliarde Kontakte zwischen einem Patienten und einem niedergelassenen Haus- oder Facharzt.
Derweil setzt Warken auf eine Expertenkommission, die Vorschläge für eine kurz-, mittel- und langfristige Stabilisierung der Beitragssätze in der GKV erarbeiten soll. Die Vorschläge sollen 2027 vorliegen, erklärte Warken bei der Lesung weiter und warnte: “Das ist zu spät.”
Diese Einschätzung teilt der Bundesrechnungshof: Mitte August bemängelt er in seinem Bericht, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) – damals noch unter der Leitung von Prof. Karl Lauterbach (SPD) bis Mai 2023 Empfehlungen für eine “stabile, verlässliche und solidarische Finanzierung der GKV” erarbeiten sollte. Die Empfehlungen legte das BMG sieben Monate später vor. Allerdings seien die darin beschriebene Strukturreformen, die mittel- bis langfristig wirken sollten (z. B. im Krankenhausbereich), nicht mit konkreten Einsparzielen hinterlegt worden, kritisiert der Bundesrechnungshof: “Vom BMG in den Blick genommene Elemente wie die Notfallreform und eine Dynamisierung des Bundeszuschusses und der Beiträge für Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger wurden bis heute nicht umgesetzt”, heißt es im Bericht des Bundesrechnungshofs.
HZV wäre sofort umsetzbar
Reformen sind also dringend nötig. Das Problem, dass die Kosten im stationären Sektor ausufern und der ambulante Sektor deutlich effizienter ist, ist seit langem bekannt. Noch hat sich aber nicht viel bei der Umsetzung der Leitschnur “Mehr ambulant vor stationär” getan. Das bestätigt Prof. Ferdinand Gerlach, Direktor des Instituts für Allgmeinmedizin an der Johann-Goethe-Universität Frankfurt: “In Deutschland liegen viele zu viele Bürgerinnen und Bürger viel zu oft und viel zu lange im Krankenhaus – nicht selten unnötig. Viele diagnostische und therapeutische Interventionen könnten in gleicher oder sogar besserer Qualität und mit deutlich geringeren Kosten auch ambulant erbracht werden. Die unbedingt erforderliche Ambulantisierung, bis hin zu international bereits bewährten “Hospital at home”-Konzepten, wurde in Deutschland bisher weitgehend verschlafen. Ambulantisierung und digitale Transformation sowie die Stärkung von ambulant-stationären Teampraxen müssen aus Qualitäts- und Kostengründen mit Priorität vorangetrieben werden.”