Berlin. Dass der GKV-Spitzenverband in einem Papier an die Bundesregierung massive Kürzungen in der ambulanten Versorgung fordert, weisen Ärztinnen und Ärzte aller Fachrichtungen entschieden zurück. Sollte die Bundesregierung den Vorschlägen der Kassen folgen, hätte dies „drastische Folgen für die Patientenversorgung“, warnen Hausärztinnen- und Hausärzteverband (HÄV), Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands (SpiFa), Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ) und MEDI GENO Deutschland in einer gemeinsamen Mitteilung (4.9.).
Konkret würden die Vorschläge bedeuten, „dass die Praxen beispielsweise die zu Recht steigenden Gehälter ihrer Praxisteams nicht mehr finanzieren könnten“, skizzieren die Bundesvorsitzenden des HÄV, Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Markus Beier. „Gleichzeitig würden sie auf den Kosten für neue Versorgungsleistungen sitzen bleiben.“
Grund für die heftige Kritik ist ein Papier des GKV-Spitzenverbandes an die Bundesregierung, das aus Kassen-Kreisen verbreitet worden war und auch der Redaktion von Hausärztliche Praxis vorliegt. Hierin sind detaillierte Änderungsvorschläge unter anderem für Paragraf 71 SGB V vorgegeben, in dem die Beitragssatzstabilität geregelt ist.
Kassen wollen beschlossene Schritte wieder kassieren
Insgesamt geht es um massive Einsparungen im ambulanten Bereich. So sollen alle extrabudgetären Leistungen und auch die gerade erst eingeführte Entbudgetierung der Haus- und Kinderärzte, die der Hausärztinnen- und Hausärzteverband erkämpft hatte, gestrichen werden. Deutliche Einsparungen wollen die Kassen auch bei zahnärztlichen Leistungen, Vorsorge und Rehabilitation, Heil- und Hilfsmittelversorgung, Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) und Hebammenhilfe erreichen.
Das Papier wurde zu einem Zeitpunkt publik, zu dem Kassen fast täglich vor massiven Leistungseinschränkungen warnen. Nur einen Tag zuvor hatte der neue Chef des GKV-Spitzenverbands Oliver Blatt auf politische Maßnahmen gedrängt, sonst würden die Zusatzbeiträge zum ersten Januar die Drei-Prozent-Schwelle überspringen. Am Freitag (5.9.) haben die Kassen ein entsprechendes Positionspapier mit “Reformbedarf” veröffentlicht.
GKV-Spitzenverband und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) stecken mitten in den Honorarverhandlungen für 2026, die bisherigen zwei Gesprächsrunden haben hier noch kein Ergebnis mit Blick auf den Orientierungswert gebracht. Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband und andere Ärztevertreter forderten zuletzt ein Plus von mindestens 7 Prozent; auf Kassenseite stehen Forderungen nach einer “Nullrunde” im Raum.
“Entschlossene Strukturreformen” statt “mutwilligem Rotstift”
„Statt mutwillig den Rotstift bei der Versorgung in den Praxen anzusetzen, braucht es endlich entschlossene Strukturreformen in den Bereichen, die seit vielen Jahren immer höhere Kosten verursachen – und das sind mit Sicherheit nicht die Praxen“, betonen die Bundesvorsitzenden des HÄV, Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Markus Beier. Bei einem genauen Blick auf die Kassenfinanzen zeigt sich in der Tat schnell, dass der ambulante Bereich keinesfalls der Kostentreiber ist, obwohl hier 97 Prozent der Behandlungsfälle abschließend betreut werden.
Mit deutlichen Worten stemmen sich die Ärzteverbände daher gegen den “Kahlschlag”. Dieser hätte auch mit Blick auf die Prävention dramatische Folgen, unterstreicht BVKJ-Präsident Dr. Michael Hubmann. Es sei “absurd”, dass “Kostensteigerungen für gesetzlich vorgeschriebene Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen nach Vorstellung des GKV-Spitzenverbands nicht mehr finanziert werden sollen”. Der “Kahlschlag der Kassen” bedeute “weniger U-Untersuchungen, weniger Beratung der Eltern, Krankheiten würden zu spät erkannt – mit Folgen fürs ganze Leben. Und wenn Impfungen zurückgehen, drohen vermeidbare gesundheitliche Schäden bei Kindern.”
Ein “Generalangriff auf die ambulante Versorgung”
“Absurd und planlos” nennt auch Dr. Dirk Heinrich, Vorstandsvorsitzender des SpiFa, die Vorschläge der Kassen. “Wer die niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzte jetzt noch weiter einschnürt, schädigt die Patientinnen und Patienten und wird eine Kostenexplosion bei den Krankenhäusern ernten.”
Dr. Norbert Smetak, Vorsitzender von MEDI GENO Deutschland, nennt das Papier einen “Generalangriff auf die ambulante Versorgung und die niedergelassene Ärzteschaft”. “Anstatt immer wieder mit denselben Plattitüden zu argumentieren, sollten die Kassen versuchen, gemeinsam mit uns innovative Versorgungsformen weiterzuentwickeln. Stattdessen erklingt erneut nur die Begleitmusik zu den aktuellen Honorarverhandlungen.“
Auch die KBV zeigte sich am Donnerstag (4.9.) verärgert. Sie warf Blatt in einer eigenen Mitteilung vor, drohende Leistungskürzungen und längere Wartezeiten in Kauf zu nehmen. Darüber hinaus kündige der GKV-Verbandschef die Grundlage einer partnerschaftlichen gemeinsamen Selbstverwaltung auf.
„Das ist eine komplette Kehrtwende, hatte der GKV-Chef doch erst vor wenigen Wochen erklärt, weder eine Nullrunde fahren zu wollen noch sich jeglichen Honorarsteigerungen zu verweigern“, so die KBV-Vorstände Dr. Andreas Gassen, Dr. Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner.