Das sagt der Hausarzt
von Dr. med. Til Uebel, Facharzt für Allgemeinmedizin, Diabetologie, Notfallmedizin, Neckargemünd
Dyspeptische Beschwerden wie bei Herrn B. sind nicht ungewöhnlich bei der Anwendung von GLP-1-Agonisten. Ebenso findet man sie häufig bei Adipositas permagna (Adipositas Grad 3 bzw. BMI 40 und höher). Zudem können sie Folge einer autonomen Neuro-Gastropathie sein.
Das Risiko für diabetische Nervenschäden (nicht nur im Magen-Darm-Trakt) steigt unter anderem durch eine längere Diabetes-Dauer. Irritierend ist, dass die gastrointestinalen Symptome erst nach monatelanger Anwendung des GLP-1-Agonisten aufgetreten sind. Das könnte auch auf eine andere Ursache als auf eine Unverträglichkeit gegenüber Semaglutid hinweisen.
Generell führt oft eine Gastritis zu Beschwerden im Magen-Darm-Trakt. Die Symptome sollten sich in diesem Fall durch die Einnahme von Protonenpumpenhemmern bessern. Tritt keine Besserung ein, ist es sinnvoll, zur weiteren Abklärung eine Ösophago-Gastro-Duodenoskopie (ÖGD) zu veranlassen – sofern diese in der Vergangenheit noch nicht durchgeführt worden ist.
Zudem sollte eine Pankreaserkrankung ausgeschlossen werden. Als weitere Maßnahme würde ich die probatorische Gabe von Domperidon/MCP versuchen und prüfen, ob ein Auslassversuch eine Veränderung der geschilderten Beschwerden bewirkt. Des Weiteren ist zu klären, ob Herr B. zusätzliche Medikamente einnimmt, die gastrointestinale Symptome verursachen können.
Sollte sich der Verdacht auf eine Unverträglichkeit auf Semaglutid erhärten, hängt das weitere Vorgehen davon ab, warum das Medikament ursprünglich eingesetzt wurde:
Niereninsuffizienz: Bei Niereninsuffizienz sollte man den Einsatz von gewichtsreduzierenden Medikamenten wie Semaglutid generell gut überdenken. Denn das Ausmaß der Nierenfunktionsstörung spielt eine maßgebliche Rolle bei der Prognose. Zudem leiden die Betroffenen präfinal oft an einem Proteinverlust bzw. allgemeinem Marasmus und an Sarkopenie. Eine Gewichtsreduktion erscheint in diesem Zusammenhang selten sinnvoll. Allerdings reduzierte Semaglutid bei Menschen mit Typ-2-Diabetes und bereits bestehender chronischer Nierenerkrankung signifikant das Risiko für schwerwiegende Nierenschäden, kardiovaskuläre Folgen und Sterblichkeit [1]. Wenn das GLP-1-Analogon vertragen wird, ist es daher für Menschen mit Typ-2-Diabetes und einer chronischen Nierenerkrankung eine gute Option. In diesem Fall ist dann vor allem die Optimierung der restlichen Medikamente wichtig. Bei einer Unverträglichkeit gegenüber Semaglutid gibt es aber auch andere, wichtigere Therapieoptionen, wie etwa SGLT-2-Hemmer [2, 3].
Gewichtsverlust: Wurde Semaglutid verabreicht, um Gewicht zu verlieren und den HbA1c zu senken, ist eine Umstellung auf den GIP-/GLP-1-Rezeptoragonisten Tirzepatid möglich [4].
Herzerkrankung: Geht es in erster Linie darum, das kardiale Gesamtrisiko bei einer vorbestehenden Herzerkrankung zu verbessern, kann eine Umstellung auf den GLP-1-Agonisten Liraglutid sinnvoll sein. In der Gruppe der GLP-1-Agonisten zeigte Liraglutid bislang die besten Ergebnisse bei einem Typ-2-Diabetes mit vorbestehender Herzerkrankung [5, 6] und gilt aktuell in der Gruppe der GLP-1-Agonisten als Leitsubstanz für die Behandlung dieser Patientengruppe.
Grundsätzlich ist der Einsatz von GLP-1-Agonisten nicht zwingend notwendig, da es auch in der Vergangenheit (also bevor GLP-1-Agonisten zur Verfügung standen) wirksame Medikamente und Behandlungsoptionen bei Diabetes gab. Ein BMI von 30 ist alles andere als ein relevantes gesundheitliches Problem [7], das den Einsatz von GLP-1-Agonisten zur Gewichtsreduktion unmittelbar nötig macht.
In diesem Fall sollten erst andere Verfahren versucht werden. Liegt der BMI bei 45, muss man den Betroffenen zudem die Möglichkeit einer bariatrischen Operation anbieten. Hier ist es wichtig, sorgfältig über Nutzen und Risiken aufzuklären. Denn bariatrische Eingriffe können unter anderem zu ähnlichen dyspeptischen Beschwerden führen wie die Anwendung von GLP-1-Agonisten.
Dr. Uebel erklärt, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
Literatur:
- Perkovic V et al. Effects of Semaglutide on Chronic Kidney Disease in Patients with Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2024;391:109-121. doi 10.1056/NEJMoa2403347.
- Heerspink H et al. Dapagliflozin in patients with chronic kidney disease. N Engl J Med 2020;383:1436-1446. doi 10.1056/NEJMoa2024816.
- The EMPA-KIDNEY Collaborative Group. Empagliflozin in Patients with Chronic Kidney Disease. N Engl J Med 2023;388:117-127. doi 10.1056/NEJMoa2204233.
- Übersicht zu SURPASS 1-5: Aberle J et al. Tirzepatid: GIP-/GLP-1-Rezeptoragonist zur Therapie des Typ-2-Diabetes – SURPASS-Studienprogramm. Diabetologie und Stoffwechsel 2023; 18(06): 461-474. doi 10.1055/a-2078-9491.
- Marso SP et al. Liraglutide and Cardiovascular Outcomes in Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2016; 375(4):311–22;.doi 10.1056/NEJMoa1603827.
- S3-Leitlinie Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) Typ-2 Diabetes. Version 3.0. AWMF-Registernummer: nvl – 001
- Flegal KM et al. Association of All-Cause Mortality With Overweight and Obesity Using Standard Body Mass Index Categories. JAMA. 2013 Jan 2;309(1):71–82. doi 10.1001/jama.2012.113905 .
Das sagt die Spezialistin
von Dr. med. Young Hee Lee-Barkey, Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie, Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen
In der beschriebenen Kasuistik ist von einem Menschen mit Typ-2-Diabetes und hohem kardiovaskulären Risikoprofil auszugehen. Diabetes beeinträchtigt unverändert relevant Lebensqualität und -zeit mit atherosklerotischen Ereignissen als Hauptursache für vorzeitige Mortalität. GLP-1-Rezeptoragonisten wie Semaglutid sind zur Behandlung des Typ-2-Diabetes geeignet. Neben der primären Glukosekontrolle senken sie auch das kardiale Risiko.
Über die verschiedenen BMI-Klassen hinweg ist der organprotektive Nutzen dieser Substanzen belegt. Alle bedeutenden kardialen wie nephrologischen Endpunkte inklusive kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall sowie GFR-Verlust und Albuminurie sind unter GLP-1-Rezeptoragonisten verbessert.
Ebenso sind günstige Effekte bezüglich der metabolisch assoziierten steatotischen Dysfunktion (MASLD) beschrieben worden. Aufgrund dieses erwiesenen Zusatznutzens der GLP-1-Rezeptoragonisten über Glukose- und Gewichtskontrolle hinaus ist der breitere Einsatz insbesondere bei Vorliegen kardialer oder renaler Risikofaktoren zu befürworten.
Dieses Behandlungskonzept hat noch nicht ausreichend Eingang in den Versorgungsalltag gefunden. Der interdisziplinäre Blick auf die diabetesassoziierten Komorbiditäten kann helfen, diese Versorgungslücke zu schließen.
Dyspeptische Beschwerden einschließlich Obstipation gelten als häufigste Nebenwirkung und sind auf die Verlangsamung der Magen-Darm-Passage zurückzuführen. Anpassung der Portionsgröße und Mahlzeitenfrequenz können zur Symptomlinderung beitragen.
Eine umfassende körperliche Untersuchung sowie die sonografische und laborchemische Diagnostik sollten hier zielführend eingesetzt werden. Zusätzlich sind im Zusammenhang mit dem Einsatz von GLP-1-Agonisten und starkem Gewichtsverlust Beschwerden vonseiten der Gallenblase (Gallensteinbildung) beschrieben worden.
Bei fehlender Kontraindikation und abklingender Symptomatik nach Auslassversuch kann ein Wechsel des Präparats in class mit nachgewiesenem kardiovaskulärem und renalem Nutzen eine gute Option sein. Menschen mit Typ-2-Diabetes und atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen sollten unabhängig von Glukosekontrolle und BMI leitliniengerecht mit GLP-1-Rezeptoragonisten behandelt werden. •
Potenzielle Interessenkonflikte: AstraZeneca, Amgen, Allergan, ÄKWL, Boehringer Ingelheim, BDI, BMS, Chiesi, Hausärztinnen- und Hausärzteverband Westfalen-Lippe, Eli Lilly, Medical Training Osnabrück, Pfizer, Novo Nordisk, Sanofi-Aventis, Santis, Servier.
Literatur:
- Nelson AJ et al. Incorporating SGLT2i and GLP-1RA for Cardiovascular and Kidney Disease Risk Reduction: Call for Action to the Cardiology Community. Circulation. 2021 Jul 6;144(1):74-84. doi 10.1161/CIRCULATIONAHA.121.053766.
- Sattar N et al. Cardiovascular, mortality, and kidney outcomes with GLP-1 receptor agonists in patients with type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis of randomised trials. Lancet Diabetes Endocrinol. 2021 Oct;9(10):653-662. doi 10.1016/S2213-8587(21)00203-5.
- Fetzner J, Rafi E. Glycemic, Cardiorenal, and Weight Implications on Noninsulin Pharmacotherapy for the Management of Type 2 Diabetes. J Clin Endocrinol Metab. 2025 Feb 25;110(Supplement_2):S147-S158. doi 10.1210/clinem/dgae817.
Das sagt die evidenzbasierte Medizin
GLP-1-Rezeptoragonisten ahmen die Wirkung des körpereigenen Hormons Glucagon-like Peptide-1 nach und fördern die Insulinsekretion, hemmen die Glucagonausschüttung und verzögern die Magenentleerung, was das Sättigungsgefühl steigert. GLP-1-Rezeptoragonisten sind besonders effektiv bei der Senkung des Blutzuckerspiegels und können zusätzlich zur Gewichtsreduktion beitragen.
Die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) Diabetes Typ 2 empfiehlt GLP-1-Rezeptoragonisten oder SGLT-2-Hemmer als eine Option in der medikamentösen Therapie des Typ-2-Diabetes zusätzlich zu Metformin, wenn klinisch relevante kardiovaskuläre Erkrankungen vorliegen.
Auch eine klinisch relevante renale Erkrankung könnte je nach individueller Risikosituation ein Grund für eine Verordnung eines GLP-1-Rezeptoragonisten sein. Nach Einschätzung der NVL liegen die belastbarsten Daten sowie Hinweise auf die Beeinflussung der Gesamtsterblichkeit in der Gruppe der GLP-1-Rezeptoragonisten für Liraglutid vor.
Auch in der DEGAM-Anwenderversion als Addendum zur NVL Typ-2-Diabetes heißt es, dass Empagliflozin oder Liraglutid bevorzugt werden sollten, wenn eine Substanz aus den Gruppen der Gliflozine oder GLP-1-Rezeptoragonisten verwendet wird.
Bei der Anwendung von GLP-1-Rezeptoragonisten seien jeweils die aktuellen Fachinformationen zu beachten (zum Beispiel Anwendungsbeschränkung bei Niereninsuffizienz). Generell könne die Anwendung von GLP-1-Rezeptoragonisten mit gastrointestinalen Nebenwirkungen verbunden sein, auch das Risiko für die Entwicklung einer akuten Pankreatitis bestehe.
Die NVL Diabetes Typ 2 empfiehlt, “dass Patientinnen und Patienten über die charakteristischen Symptome einer akuten Pankreatitis informiert werden”. Laut NVL wurde unter Therapie mit GLP-1-Rezeptoragonisten häufiger über Erkrankungen der Gallenblase und Gallenwege berichtet, wobei das Risiko bei höherer Dosierung und längerer Anwendung anstieg. Für ältere, gebrechliche Menschen könne zudem eine Gewichtsreduktion durch GLP-1-Rezeptoragonisten eine unerwünschte Begleiterscheinung darstellen.
Was Semaglutid angeht, so habe die SUSTAIN-6-Studie gezeigt, dass gastrointestinale Nebenwirkungen wie Diarrhö, Übelkeit und Erbrechen unter subkutanem Semaglutid 1 mg häufiger auftraten (52,3 versus 35,2 Prozent unter 1 mg Placebo). Dies führte auch häufiger zu einem Abbruch der Therapie.
Literatur:
- S3-Leitlinie Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) Typ-2-Diabetes. Version 3.0. AWMF-Registernummer: nvl – 001
- DEGAM Anwenderversion als Addendum zur Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) Typ-2-Diabetes (2021).